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Agiler Kulturwandel in Unternehmen –

Teil II

Agile Unternehmenskultur: Was bedeutet sie für Führungskräfte? Organisationbegleiterin Dorothee Wiebe im Interview.

Ein agiler Arbeitsort berücksichtigt die Bedürfnisse, Ängste und Wünsche des Teams und geht auf sie ein. Darüber haben wir im ersten Teil des Interviews mit Dorothee Wiebe gesprochen, die seit 1996 eine Agentur für strategische Kommunikation betreibt. Der Fokus im zweiten Teil unseres Interviews richtet sich auf Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern eine flexiblere Arbeitsumgebung bieten wollen.

Am 3. Juni fand der von Dorothee Wiebe initiierte Praxis-Talk „Selbstverantwortliche Teams: Toll! Aber wie?“ statt. Hier tauschten sich die Teilnehmer mit Pionieren über den agilen Kulturwandel aus. Leitspruch des Abends: „Führung ist zu wichtig, um sie nur Führungskräften zu überlassen.“ Einer dieser Pioniere war Christian Köhler, operativer Geschäftsleiter bei byte5. Er sprach unter anderem über den unbegrenzten bezahlten Urlaub, den es bei byte5 seit diesem Jahr gibt.

Als Organisationbegleiterin und Change-Managerin kennt Dorothee sich bestens mit agilen Unternehmenskulturen aus und weiß, was Führungskräfte tun können, um einen wirklich agilen Arbeitsort zu schaffen. Doch lesen Sie selbst: 

Viele Unternehmen sind offen für eine Flexibilisierung der Arbeitsorganisation und die Schaffung von Freiräumen, wissen aber nicht, wo sie damit beginnen sollen. Wie können sie sich diesem Thema nähern?

Darüber haben wir uns am Montag im Praxis-Talk ausgetauscht, bei dem Christian Köhler von byte5 von seinen jüngsten Erfahrungen mit dem sogenannten Vertrauensurlaub berichtet hat. Solche Praxis-Talks sind sehr wertvoll. Ich glaube nämlich, dass das Lernen voneinander eine riesige Rolle spielt. Experimentieren und Forschung passiert immer in Bereichen, in denen es keine klaren Ja-/Nein-Antworten geben kann, sondern nur ein Ausprobeiren. Dort ist es klasse, wenn ich selbst forsche, aber auch von der Forschung anderer lerne. Genau das haben wir Anfang der Woche beim Praxis-Talk gemacht. 

Agilität und eine wirklich vertrauensvolle und wertschätzende Atmosphäre ist so viel mehr als: „Morgen stellen wir einen Kickertisch ins Büro, alle sind ganz agil und alles läuft entspannt.“ Ganz im Gegenteil: Eine agile Unternehmenskultur bedarf einer Menge Struktur. Es muss Schritt für Schritt vorgegangen werden. Die Menschen, die bereits im Unternehmen arbeiten, dürfen Veränderungen in der Struktur nicht so empfinden, dass die Führungsebene eine Bombe in den Arbeitsalltag wirft. Die Menschen müssen Vertrauen haben, dass das, was bisher gut lief, auch weiterhin gut bleibt.

byte5-COO Chris Köhler beim Praxis-Talk zur agilen Unternehmenskultur

© Dorothee Wiebe

byte5-COO Chris Köhler beim Praxis-Talk zur agilen Unternehmenskultur

Daran knüpft an: Wie sehen die Führungskräfte von heute aus?

Neue Führungskräfte sind nicht mehr die unnahbaren Kapitäne von früher, die sozusagen lieber selbst untergehen, bevor sie einen Mitarbeiter zurücklassen. Das ist ein Ideal, was niemand wirklich abbilden kann. Führungskräfte sind heute viel mehr Mensch, haben auch Gefühle und Bedürfnisse. Außerdem ist die Sicht auf Führungskräfte heutzutage immer mehr, dass sie – wie alle anderen – eben auch „nur“ einen Job erledigen. Die Aufgaben neuer Führungskräfte sind vielfältig: Sie steuern, kommunizieren, schaffen womöglich Freiräume für ihre Mitarbeiter und verteidigen sie vor den Bedürfnissen anderer Teile der Organisation. Die neuen Führungskräfte brauchen ganz andere Fähigkeiten als früher. Zum Beispiel ein gewisses Maß an Empathie und Coaching-Fähigkeiten. Und sie müssen sich immer fragen: Wie geht es gerade den Menschen in meinem Unternehmen? Wie kann ich ihre Bedürfnisse wahrnehmen und berücksichtigen?

Der agile Kulturwandel setzt unternehmensseitig eine flexible und progressive Mentalität voraus. Welche Eigenschaften und Fähigkeiten bringen auf der anderen Seite Mitarbeiter mit, die in diesem Umfeld gedeihen und so das Unternehmen voranbringen?

Für agile Unternehmer wertvoll sind Dynamiker. Dynamische Menschen haben keine Angst vor komplexen Zusammenhängen, im Gegenteil, sie haben Freude an Komplexität. Sie probieren gerne Dinge aus, sind neugierig und übernehmen gerne Verantwortung. Menschen, die so etwas mögen, haben ein hohes Maß an Vernetzungsfähigkeit unterschiedlicher Informationen und können beim Herangehen an Probleme auf einen großen Erfahrungsschatz bauen. Das sind Menschen, die in der Regel gut ausgebildet sind, die eine hohe Bereitschaft zum Lernen hatten und haben. Man könnte sie auch unter dem Schlagwort High-Performer zusammenfassen. Solche Leute kann ein Unternehmen natürlich nur dann gewinnen, wenn das Arbeitsumfeld ihnen erlaubt, ihre Qualitäten auch auszuleben. 

byte5-COO Chris Köhler mit Dorothee Wiebe beim Praxis-Talk zur agilen Unternehmenskultur

© Dorothee Wiebe

byte5-COO Chris Köhler mit Dorothee Wiebe beim Praxis-Talk zur agilen Unternehmenskultur

Das bedeutet, es ist für agile Arbeitgeber besonders wichtig, ausschließlich Mitarbeiter zu rekrutieren, die nicht nur mit ihren Fähigkeiten, sondern auch mit ihrem Mindset durch und durch zum Unternehmen passen?

Genau. Hire for attitude and train for skills. Wenn jemand kulturell überhaupt nicht ins Unternehmen passt, wird er sich nicht wohlfühlen und wird auch nie zu einer persönlichen Leistungsfähigkeit finden. Eine gewisse Grundfähigkeit für die jeweilige Aufgabe ist natürlich vorausgesetzt. Allerdings ist dieses kulturelle Andocken ist viel, viel wichtiger. Wie wir wissen, ist das menschliche Gehirn bis an das Lebensende zu Regeneration und neuem Lernen absolut fähig. Das heißt, wer die Grundhaltung mitbringt und eine Basisausstattung entsprechender Fähigkeiten hat, der kann sehr, sehr schnell Neues dazulernen. Und er hat wahrscheinlich auch viel Spaß daran. Das wiederum setzt Glückshormone frei, die ihn bei seinem neuen Tun in einen Flow bringen. Also, nochmal: Hire for attitude and train for skills.

Wenn das Unternehmen dann passende Mitarbeiter gefunden hat, muss der Arbeitgeber dafür sorgen, sie zu motivieren und zu halten.

Mitarbeiter, denen es im Unternehmen gutgeht, haben in der Regel keinen Grund zu wechseln. „Gutgehen“ hat dabei vor allem soziale Faktoren. Ganz wenige Menschen lassen sich wirklich über Einkommen steuern, dazu gibt es etliche Studien. Was viel wichtiger ist, ist die gefühlte Wertschätzung. Sobald die Lebenshaltungskosten und ein gewisser Betrag für die persönlichen Bedürfnisse sichergestellt sind, ist Arbeitnehmern wesentlich wichtiger, in einem Umfeld zu sein, in dem der eigene Beitrag gesehen und wertgeschätzt wird. Die Wahrnehmung der eigenen „Erwünschtheit“ ist wie ein Lob. Gegenseitiges Vertrauen und Wertschätzung ist, meine ich, die neue Währung. Wenn ein Arbeitnehmer in diesen beiden Währungen nicht ausreichend „bezahlt“ wird, hält es ihn nicht wirklich in einem System – weder innerlich noch äußerlich. Dabei ganz wichtig: Vertrauen und Wertschätzung ist etwas, das immer in beide Richtungen laufen muss.

 

Liebe Dorothee, herzlichen Dank für das interessante Interview! 

Haben Sie den ersten Teil des Interview verpasst? Lesen Sie ihn jetzt nach!

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